Kurzgeschichte

Späte Erkenntnis

Michel schaute sehnsuchtsvoll durch den Maschendrahtzaun. Dort drüben, nicht einmal 100 m von ihrem Lager entfernt stand dieser monströse Prachtbau einer aufwendig gestalteten Villa. Da wohnten Ihre Herren. Niemals in seinem Leben hatte er das Lager verlassen dürfen, um sich in der Welt umzusehen. Zwar hatte er es schon versucht, wenn jemand aus der Herrscherfamilie kam, um ihnen Essen zu bringen, doch sie waren immer extrem wachsam. Seine Hoffnung, es nachts zu versuchen, zerschlug sich schnell. Alle Insassen ihres Lagers wurden, wenn es dunkel wurde, in stabile Behausungen eingeschlossen und gezählt.

Solange er denken konnte, wohnte er in dieser Anlage. Selbst seine Eltern und Urgroßeltern sollen hier geboren worden sein. Gelegentlich kamen Neuzugänge, die in anderen Lagern aufgewachsen waren, denn ihre Geschichten hörten sich ähnlich an.

Michel dachte schon lange darüber nach, wo ihre Rasse her kam, wo sich ihre Heimat befindet. Seit vielen Generationen hatten sie sich ihrer Gefangenschaft zu fügen. Und wenn sie sehr laut schrien, hörten sie die antwortenden Stimmen ihrer Leidensgefährten aus den anderen Lagern. Aber meist lief diese Unterhaltung nur zwischen den Stammesältesten ab. Diese Gespräche brachten ihm keine neuen Erkenntnisse, obwohl Michel jedes Mal angespannt lauschte, um ja nichts zu verpassen.

Und noch etwas bereitete ihm Sorgen. Diese fremde ...

Willst du wissen, wie es weitergeht?

Diese und weitere Kurzgeschichten findest du im Buch:

"Ganz für Familie: Kurzgeschichten für Klein und Groß"

erwinsittig

Erwin Sittig

Fotograf und Schriftsteller

Späte Erkenntnis
Share this